Petra: Felsgräber und Architektur der Nabatäer

Petra: Felsgräber und Architektur der Nabatäer
Petra: Felsgräber und Architektur der Nabatäer
 
Äußerst beherrschen musste sich wohl der als Muslim getarnte Schweizer Forschungsreisende Johann Ludwig Burckhardt, als er in Begleitung seines Führers im August 1812 als erster Europäer die Nabatäerstadt Petra betreten durfte. Beiderseits sich auftürmende steile Felsen, Schluchten und Engpässe geben dem Betrachter nämlich erst unmittelbar vor der Ruinenstätte den Blick frei auf deren architektonisch perfekt gestalteten, aus dem Stein herausgehauenen Fassaden von gewaltigem Ausmaß, die dem Forscher den Eindruck antiker Tempel vermitteln. Sein Staunen konnte Burckhardt jedoch nicht offen zeigen, um keinen Verdacht bei den Einheimischen zu erregen. Nur wenige Stunden war es ihm vergönnt, in dieser wie in einem Märchen plötzlich auftauchenden Felsenstadt zu verweilen, die die Natur über viele Jahrhunderte verborgen gehalten hatte.
 
Geschaffen worden waren diese beeindruckenden Monumentalfassaden von einem Volksstamm semitischer Herkunft, der seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. in der biblischen Landschaft Edom, auf der Halbinsel Sinai und im nordwestlichen Arabien sesshaft geworden war und den die antiken Schriftquellen als Nabatäer bezeichnen. Im Laufe der folgenden Jahrhunderte konnten die Nabatäer ihre Machtposition in dieser geo- und handelspolitisch empfindlichen Zone behaupten. Hier kreuzten sich die wichtigsten Handelsrouten: einerseits die Verbindungen nach Ägypten - seit jeher auch von strategischer Bedeutung -, andererseits die Weihrauchstraße, die nach Südarabien führte. Diese über eine Distanz von rund 3000 km organisatorisch und logistisch zu »verwalten« und ab Nordwestarabien direkt zu kontrollieren, muss als eine der Glanzleistungen nabatäischer Politik und Verhandlungstaktik gegenüber den Beduinenstämmen betrachtet werden. Politischer Flexibilität bedurfte es auch, das Territorium der Nabatäer neben den damals dominierenden Mächten, den Ptolemäern in Ägypten und den Seleukiden Syriens, zu behaupten. Diese vermittelnde Position zwischen den hellenistischen Machtblöcken und der semitisch geprägten Welt fand ihren Ausdruck in der nabatäischen Architektur. Doch auch die geomorphologische Beschaffenheit des als nabatäisch umschriebenen Gebietes hat die Ausbildung einer jeweils unterschiedlichen Architektur beeinflusst: Der nubische Sandstein in den Bergen Edoms war wie geschaffen zum Aushöhlen und Bearbeiten, für Häuser und größere Gehöfte fand sich geeignetes Baumaterial in Form von Kalksteinen und Mergel im Negev auf Sinai, eine eigene Konstruktionstechnik erforderte schließlich der harte vulkanische Basalt im Norden des Nabtäerlandes.
 
Von allen nabatäischen Denkmälern und Bauwerken strahlen die Grabfassaden der Hauptstadt Petra (im heutigen Jordanien) und der Handelsmetropole Hegra (im heutigen Saudi-Arabien) die imposanteste und gewaltigste Wirkung auf den Besucher aus. Sie fanden daher seit ihrer Entdeckung größte Bewunderung. Die prächtigsten Monumente wurden Nabatäerkönigen und hohen Würdenträgern zugeschrieben: In Hegra waren es - dies berichten die Inschriften - die Angehörigen, Männer und Frauen, der führenden Gesellschaftsschicht, die sich die aufwendigen Gräber errichten ließen. Die damit beauftragten Baumeister und Steinmetzen entwickelten eine unglaubliche Meisterschaft, die gewachsene Felsmasse nach vorgegebenen Vorstellungen zu gestalten und zu strukturieren - hauptsächlich durch kubische Formen, die die hoch aufragenden Felsen rhythmisch durchgliedern, um sie als Architekturkulisse in ihrer Dominanz allen anderen Bauwerken im Talkessel von Petra gegenüber zur vollen Entfaltung und Wirkung kommen zu lassen.
 
Ein zeitlos gedachtes Moment auf ewig festzuhalten, der Natur abzuringen und mit den damaligen Möglichkeiten bildnerischen Gestaltens unter Anwendung des klassisch-hellenistischen Formen- und Architekturkanons überdimensional und überwältigend zur Vollendung zu bringen, könnte als ein aus dem Ägyptischen übernommener Wesenszug nach monumentalisierter Unvergänglichkeit aufgefasst werden. So verwundert es auch nicht, im Aufbau der Felsfassaden Charakteristika der späthellenistisch-alexandrinischen beziehungsweise parthisch-mesopotamischen Architektur widergespiegelt zu sehen. Umgeben von kulturell und politisch unterschiedlich geprägten Gebieten, gab es offenbar eine große Aufnahmebereitschaft für stilistische Einflüsse von außen, unter denen die hellenistischen in den Fassaden von Petra und Hegra einen wesentlichen Anteil haben. Für die bildliche und architektonische Formulierung einer eigenen Ausdrucksweise und Vorstellungswelt blieb besonders in den zahlreichen Kultreliefs, den Götterbildern und den Votiven aber noch genügend Freiraum.
 
Im Tempelbau wurde dagegen eine grundsätzlich andere Auffassung als im hellenistisch-römischen Umfeld spürbar - von der Grundrisskonzeption eines Heiligtums mit seinen anders proportionierten Räumen und Kompartimenten, seinem Aufbau und seiner architektonischen Ausschmückung bis hin zu seiner an keine vorgezeichnete urbanistische Strukturen gebundene, ungezwungene Anordnung inner- oder außerhalb eines Siedlungsareals, mitunter sogar an topographisch äußerst markanten und isolierten Stellen. Eine damit vergleichbare Tendenz lässt sich im Wohnbau der Nabatäer feststellen. Ursprünglich Nomaden, bevorzugten sie bis in das 3. Jahhrundert v. Chr. die Leichtbauweise: Vom 3. bis zum 1. Jahrhundert v. Chr. darf man sich Petra getrost als locker angeordnete Zeltsiedlung vorstellen. Massive Häuser wurden erst ab dem späten 2. Jahrhundert v. Chr. erbaut - zunächst noch unkonventionell und mit Mängeln in der Statik behaftet. Die zu Festungen ausgebauten Hauskomplexe im Negev und die in der Vulkanlandschaft des nabatäischen Nordens entworfene, aus gespaltenen Basaltblöcken bestehende Gewölbe- und Bogenarchitektur gehört daher erst einer späteren Zeit an. Das Bild nabatäischen Kunstschaffens runden, abgesehen von den originellen tönernen Tierstatuetten, Abertausende aus hauchdünnem Ton hergestellte, mit ansprechenden Ornamentkompositionen individuell bemalte Schalen und Teller ab, die - weit über die Grenzen ihres Herstellungsgebietes hinaus geschätzt - vom Formgefühl und der künstlerischen Sensibilität der Nabatäer zeugen.
 
Prof. Dr. Erwin M. Ruprechtsberger
 
 
Schlumberger, Daniel: Der hellenisierte Orient. Die griechische und nachgriechische Kunst außerhalb des Mittelmeerraumes. Taschenbuchausgabe Baden-Baden 1980.
 Wenning, Robert: Die Nabatäer — Denkmäler und Geschichte. Eine Bestandsaufnahme des archäologischen Befundes. Freiburg u. a. 1987.

Universal-Lexikon. 2012.

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